Bürokratische Festtagsgrüße
Es war der 25. Dezember 1936. Während in vielen Teilen der Welt Geschenke ausgepackt und Eierpunsch getrunken wurde, öffnete Thomas Mann im Schweizer Exil einen Brief von der Universität Bonn. Statt weihnachtlicher Kunde enthielt er eine bürokratische Hiobsbotschaft: Seine Ehrendoktorwürde wurde ihm aberkannt. Frohe Weihnachten, Herr Mann! Nichts sagt „Festtagsgrüße" so herzlich wie die offizielle Verstoßung durch die Universität, die ihm einst diesen Titel verliehen hatte – auf Geheiß eines totalitären Regimes.
Die Entscheidung wurde damit begründet, dass Manns deutsche Staatsbürgerschaft bereits davor entzogen worden war. Doch der Schriftsteller ließ sich von dieser institutionellen Demütigung weder die Feststimmung verderben noch anderweitig entmutigen. Am Abend notierte er lakonisch in seinem Tagebuch: „Fast hätt’ ich’s vergessen: Mitteilung der philos. Fakultät von Bonn über Aberkennung des Ehrendoktors als Folge der Ausbürgerung. – Antwort erwogen.“
Die „Antwort“ folgte bald und erregte international Aufsehen. In einem Brief, der die Absurdität der Situation schonungslos entlarvte, schrieb Mann: „Der einfache Gedanke daran, wer die Menschen sind, denen die erbärmlich-äußerliche Zufallsmacht gegeben ist, mir mein Deutschtum abzusprechen, reicht hin, diesen Akt in seiner ganzen Lächerlichkeit erscheinen zu lassen.“ Seine Botschaft war klar: Nicht ich bin das Problem, sondern ihr. Der Brief wurde in mehrere Sprachen übersetzt und gelangte sogar in einer illegalen Tarnausgabe nach Deutschland – ein stiller Triumph des Widerstands.
Weihnachten als Fixpunkt
Für Mann war Weihnachten immer schon mehr als Lametta und Lübecker Marzipan. Das Fest war für ihn ein kultureller und emotionaler Ankerpunkt. In den BUDDENBROOKS und im ZAUBERBERG widmet er dem Fest eigene Kapitel, die der bürgerlichen Oberflächlichkeit einen Spiegel vorhalten. Seine Tagebücher sind voll warmer Erinnerungen an Familienfeiern: Kinder, die bei Kerzenschein im dunklen Raum singen, sorgfältig ausgewählte Geschenke und festliche Mahlzeiten, die jedem Sterne-Restaurant Konkurrenz machen könnten. Am 25. Dezember 1933 notierte er: „Die Kinder, noch gestern Abend spät befragt, was von Weihnachten das Schönste gewesen sei, erklärten: ‚Als Herr Papale bei Tisch einen Juden nachmachte!‘“ Eine Erinnerung, die heute eher für Unbehagen sorgen dürfte; und Thema für einen separaten Blog-Artikel.
Das Exil veränderte alles. In den 1930er- und 1940er-Jahren feierte Mann Weihnachten nicht mehr in seiner Heimat Deutschland, sondern in der Schweiz und später in Los Angeles, wo Schnee und Tannenbaum Sonnenschein und Palmen wichen.
Weihnachten als moralischer Appell
Für Thomas Mann wurde Weihnachten im Exil zu einer Metapher für die humanistischen Werte, die der Nationalsozialismus mit Füßen trat. In seiner Radiosendung „Deutsche Hörer!“ im Dezember 1940 zeichnete er das Fest als einen tiefen kulturellen Anker: „Vielleicht ist Weihnachten das deutscheste aller Feste.“ Er erinnerte an seine Ursprünge von heidnischen Sonnenwendritualen bis hin zum christlichen Friedensfest und stellte dies scharf der Realität in der Nazidiktatur entgegen.
„Wie erscheinen euch die Taten eurer Führer im Licht dieser Kerzen – die Taten des Wahnsinns, der Gewalt und der Zerstörung, an denen sie euch mitschuldig gemacht haben“, fragte Mann seine Zuhörer in beißender Ironie – wobei sich so mancher Deutsche an seinem Festtagslikör verschluckt haben dürfte. Er fügte hinzu: „Singt ihr noch ‚Stille Nacht‘ oder hat man euch befohlen, stattdessen irgendeine blutige Parteihymne zu singen?“
Kultureller Widerstand: Tradition als Waffe
Thomas Mann verstand, dass Traditionen wie Weihnachten mächtige Werkzeuge des kulturellen Widerstands sein konnten. Indem er deutsche Feiertagsbräuche selbst im Exil weiterführte, holte er sie aus den Fängen des Nazi-Regimes zurück. Er erinnerte seine Zuhörer daran, dass Deutschlands wahres Erbe nicht in Gewalt und Ideologie lag, sondern in seinen Beiträgen zur Kunst und Kultur: „den Werken Dürers und Bachs, Schillers Freiheitsgedichten, Goethes ‚Iphigenie‘, Beethovens ‚Fidelio‘.“ Für ihn war dieses Erbe unvereinbar mit der Barbarei des Nationalsozialismus.
Ein Licht in dunklen Zeiten
Während viele Menschen diese Feiertage inmitten anhaltender globaler Krisen feiern – von Kriegen, die Millionen vertrieben haben, bis hin zu aufkommendem Autoritarismus – bleiben Manns Worte erstaunlich relevant. Sein Appell aus dem Exil hallt über Jahrzehnte hinweg wider: „Deutsches Volk, rettet euch! Rettet eure Seele, indem ihr denen abschwört, die nur an sich selbst denken und nicht an euch.“
Für Thomas Mann wurde Weihnachten zu einem Symbol für den Widerstand gegen Unrecht und die Verteidigung humanistischer Werte. Sein Beispiel erinnert bis heute daran, dass selbst in der tiefsten Dunkelheit ein Licht brennt. Während wir in diesen Tagen unsere eigenen Kerzen entzünden, sollten wir seine Worte nicht vergessen – und die Werte verteidigen, für die er unermüdlich kämpfte: Wahrheit, Würde und Menschlichkeit.
Über Thomas Manns Briefwechsel mit der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn (1936/1937)
Im Dezember 1936 erhielt Thomas Mann, der sich im Schweizer Exil befand, ein Schreiben der Universität Bonn, in dem ihm die Aberkennung seines Ehrendoktorgrades mitgeteilt wurde. Dies wurde mit dem Entzug seiner deutschen Staatsbürgerschaft durch das nationalsozialistische Regime begründet. Als Antwort darauf verfasste Mann am Neujahrstag 1937 einen scharf formulierten offenen Brief, in dem er die Anmaßung der Nazis, sich mit der deutschen Kultur zu identifizieren, anprangerte.
Am 15. Januar 1937 wurde der Briefwechsel vom Zürcher Verleger Oprecht unter dem Titel EIN BRIEFWECHSEL veröffentlicht. Er entwickelte sich schnell zu einem Symbol des Widerstands, wurde international verbreitet und in viele Sprachen übersetzt. Im nationalsozialistischen Deutschland zirkulierte er heimlich unter dem Titel BRIEFE DEUTSCHER KLASSIKER. Manns Erwiderung bleibt ein bedeutendes Dokument der Exilliteratur und des intellektuellen Widerstands gegen die Tyrannei.
Lesen Sie den ganzen Brief hier.
Bild: Universitätsarchiv Bonn, © S. Fischer Verlage, Frankfurt am Main

Über DEUTSCHE HÖRER!
Thomas Manns „DEUTSCHE HÖRER!“-Sendungen, die zwischen 1940 und 1945 während seines amerikanischen Exils über die BBC ausgestrahlt wurden, sind ein herausragendes Zeugnis literarischen und moralischen Widerstands. Als einer der bedeutendsten literarischen Exilanten Deutschlands und Nobelpreisträger nutzte Mann diese monatlichen, achtminütigen Ansprachen, um der Nazi-Propaganda entgegenzutreten und direkt zum deutschen Volk zu sprechen. Er hielt 58 Reden, in denen er die Verbrechen der Nationalsozialisten schonungslos darlegte und zum Widerstand gegen das Hitler-Regime aufrief.
Im Laufe der Zeit wandelte sich der Ton seiner Reden – von der Sicht auf die Deutschen als Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft hin zur Auseinandersetzung mit ihrer kollektiven Verantwortung für die Gräueltaten des Regimes. Die Sendungen sind nicht nur ein bedeutendes historisches Dokument des deutschen Exilwiderstands, sondern auch ein bleibendes Zeugnis für die Macht des Wortes im Kampf für Gerechtigkeit.
Bild: Cover von der im Januar erscheinenden Neuausgabe im S. Fischer Verlag mit einem Vor- und einem Nachwort von Mely Kiyak. Weitere Informationen finden Sie hier.

Über den Autor
Mirko Lux ist Koordinator und Redakteur von MANN 2025: 150 JAHRE THOMAS MANN. Er studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Berlin und Siena. Nach mehreren Jahren als freiberuflicher Journalist und Fotograf ist er seit Mai 2013 als Referent für Programme und Kommunikation im Berliner Büro von Villa Aurora & Thomas Mann Haus tätig.
Bild: © Tobias Kruse/OSTKREUZ
